Michel Clement und Matthias Runte

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Lehrstuhl für Marketing, Kiel 1999

Weitere Publikationen von Matthias Runte und Michel Clement: www.runte.de/matthias

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Marketingerfolg mit Software-Agenten

Das rasante Wachstum des Internet ermöglicht immer ausgefeiltere Arten des Electronic Commerce (eCommerce), die noch vor einem Jahrzehnt undenkbar gewesen wären. Mit der wachsenden Akzeptanz der Neuen Medien als natürliches Instrument der täglichen Arbeit wird in kurzer Zeit auch die Durchführung von finanziellen und geschäftlichen Transaktionen zur Normalität werden. Dies liegt vor allem an einem Vorteil des Internet gegenüber geschäftlichen Transaktionen in der "physischen Welt": Den äußerst geringen Transaktionskosten.

Jedoch werden die sich durch das Medium ergebenden Chancen kaum genutzt – zu vielen fällt beim Begriff des "Agenten" noch eher 007 als das Marktingtool par excellence ein, mit dessen Einsatz Kundenbedürfnisse optimal befriedigt werden können.

Der Begriff des "Agenten" ist eine etwas unglückliche Übersetzung des englischen Begriffs "agent", da es sich bei agents eigentlich um den Vermittler von geschäftlichen Transaktionen, also um Makler handelt. Die Auswirkungen dieser Begriffsfassung bei der Honorarabrechnung verspüren momentan die Preisagenturen (Urteil vom 12.03.1998 – 7 O 13754/97 des Landgerichts München I).

Unter einem Software-Agenten sind intelligente Programme zu verstehen, die im Auftrag eines Benutzers selbständig Aufgaben erledigen. Diese Aufgaben können unterschiedlichster Natur sein: So können Agenten beispielsweise einfache Suchfunktionen durchführen, um mit der immer weiter steigenden Datenflut im Internet fertig zu werden. Agenten der zweiten Generation werden sogar in der Lage sein, im Auftrag des Anwenders komplexe Vertrags- und Preisverhandlungen zu führen. Diese Agenten werden das Marketing im Internet insbesondere in folgenden Bereichen beeinflussen:

 

Abbildung 1: Arten von Agenten

 

Preisagenten, wie beispielsweise Preiswärter (www.preis.de) oder der "Bargain-Finder" (bf.cstar.ac.com) von Andersen Consulting, der bei zehn unterschiedlichen Online-CD-Shops den Anbieter mit dem geringsten Preis heraussucht und die Angebote in einer kompakten Liste einschließlich der Lieferbereitschaft des Anbieters ausgibt, werden immer beliebter. Der Benutzer kann online das günstigste Angebot auswählen und landet sofort auf den Bestellseiten des entsprechenden Lieferanten. Dieses Vorgehen erinnert an Preisagenturen (z.B. Preiswärter) im herkömmlichen Sinne – nur, im globalen Dorf Internet kann dies in Sekunden geschehen. Handelt es sich bei dem gesuchten Produkt um digitalisierbare Informationen wie z.B. Software, Informationen oder Musik, so spielt es keine Rolle mehr, wo der Anbieter ansässig ist - es fallen nicht einmal mehr nennenswerte Kosten für den "Versand" an, da die Ware als Datenstrom über das Netz übertragen werden kann. Anbieter müssen dann bedenken, daß insbesondere Preispromotions und Sonderangebote einen explosionsartigen Umsatzzuwachs generieren können, wenn das Angebot von den Preisagenten entdeckt wird. Dies kann u.U. auch in der langen Frist zu den bekannten unerwünschten Effekten führen.

Die konkreten Auswirkungen auf traditionelle Marktstrukturen sind heute noch nicht absehbar – sie werden jedoch insbesondere für Anbieter homogener Güter und Leistungen gewaltig sein, da Preisagenten die globale Preistransparenz erhöhen. Für einen Anbieter lohnt sich das Zulassen des Zugriffs von Preisagenten insbesondere dann, wenn er sicher sein kann, daß er den besten Preis in seinem Marktsegment bieten kann. Auf der anderen Seite werden hochpreisige Anbieter von homogenen Produkten binnen kurzem aus dem Markt gedrängt. Um diesem Schicksal zu entgehen, werden mehr und mehr Anbieter dazu übergehen müssen, dem Nachfrager individuelle Angebote zu unterbreiten, um sich durch Differenzierung von der homogenen Produktmasse abzuheben.

Solche individuellen Angebote können durch Produktagenten zusammengestellt werden: Ein Beispiel für einen Agenten dieser Art ist der Interaktive Webguide "Linxx" (linxx.bwl.uni-kiel.de). Der Agent ermittelt zuerst den individuellen Website-Geschmack des Benutzers, indem er verschiedene Websites zur Bewertung vorgelegt. Hat der Benutzer ausreichend Websites bewertet, wird der persönliche Geschmack mit dem von vielen anderen Benutzern verglichen. Dabei werden die Benutzer herausgefiltert, deren Website-Geschmack die höchste Ähnlichkeit zum Geschmack des Benutzers aufweist. Auf dieser Basis läßt sich vorhersagen, welche Websites dem Benutzer gefallen werden – nämlich die Websites, die andere Benutzer mit ähnlichen Präferenzen schon gesehen haben und gut fanden. Auf diese Weise liefert der Linxx-Agent individuelle Vorschläge, die auf die ermittelten Präferenzen des Benutzers genau zugeschnitten sind. Diese Methode wird als "Collaborative Filtering" bezeichnet.

Ein solches Verfahren läßt sich in bare Münze umwandeln, wenn es z.B. Online-Shops für ihre Zwecke nutzen: Werden die Transaktionsdaten der bisherigen Nutzer systematisch ausgewertet, dann sind Ähnlichkeiten im Nutzungsverhalten von bestimmten Gruppen festzustellen, die – analog zur Empfehlung von Kinofilmen – zur individuellen Angebotserstellung genutzt werden können. So kann z. B. dem Käufer eines Computers gleich die passende Lernsoftware angeboten werden, wenn vorher festgestellt wurde, daß Nutzer mit ähnlichen Merkmalen diese ebenfalls gekauft haben. Zudem lassen sich Komplementaritätsbeziehungen definieren: Beim Kauf eines Kleides wird gleich der dazu passende Hut angeboten. Wenn ein Home-Shopping Anbieter wie beispielsweise Otto dieses schnell umsetzt, dann kann der Umsatz – und hoffentlich auch der Deckungsbeitrag – pro Kunde in die Höhe getrieben werden.

Agenten werden auch verwendet, um Produkte auf die individuellen Interessen des Benutzers zuzuschneiden. Betrachtet man ein Produkt als ein Bündel von Eigenschaften, so läßt es sich, wenn es in digitaler Form vorliegt, auf einfache Weise in beliebigen Kombinationen neu bündeln. Wenn beispielsweise der Agent einer Online-Zeitung weiß, daß ein bestimmter Nutzer nur den Politikteil und die Basketballergebnisse liest, so kann er ihm eine nur für ihn zusammengestellte Zeitung mit seinen Interessen anbieten. Die Kosten für die Individualisierung sind aufgrund der vollständigen Automatisierbarkeit gering. Auf der anderen Seite hebt sich der Anbieter vom Angebot homogener Zeitungen ab. Da dieses Angebot genau auf den Nutzer zugeschnitten ist, kann somit ein vergleichsweise hoher Preis für die Online-Zeitung erzielt werden. Doch auch für kostenlose Online-Angebote läßt sich die Individualisierung durch Agenten gewinnbringend nutzen: Anhand der ermittelten Präferenzen des Benutzers kann zielgerichtete und damit wesentlich wirksamere Werbung geschaltet werden.

Werbeagenten können die Werbung so steuern, daß Streuverluste minimal werden. Werbeagenten lassen sich am vorteilhaftesten mit anderen Agenten kombinieren, welche die individuellen Präferenzen des Nutzers ermitteln können. So wird beispielsweise in Suchmaschinen je nach eingegebenem Suchbegriff kontextbezogene Werbung (in welcher Form auch immer) eingeblendet.

Weiterhin können Werbeagenten auch völlig neue Impulse bei der Auswahl der richtigen Werbebotschaft bringen. Für eine Werbekampagne werden anfangs eine Reihe unterschiedlicher Werbemitteilungen eingeblendet, deren Wirksamkeit u.a. anhand der "Klick-Rate" gemessen werden kann. Schon nach kurzer Zeit weiß der Werbetreibende mit hoher Sicherheit, welche der eingeblendeten Werbebotschaften am wirksamsten sind. Eine weitere Differenzierung der Werbung ist dabei auf individueller Basis möglich, wenn jeweils begleitende soziodemografische Daten des Nutzers vorliegen. Die Auswahl der richtigen Werbung ist so stark automatisierbar, daß Pretests für die Werbebotschaften überflüssig werden – der Computer weiß nach kurzer Zeit selbständig, welche Werbung bei welchen Personen am besten zieht.

Solche Verfahren sind insbesondere für Distributionsagenten von hoher Bedeutung. Ein Online-Buchhändler wie Amazon.de (www.amazon.de) weiß anhand der Transaktionsdaten, daß sich ein bestimmter Kunde nur für Romane von John Grisham und Ken Follet interessiert. In diesem Falle werden nicht die Werke Schillers auf der Website beworben, sondern vorrangig die neusten Werke von Grisham oder Follet, die der Kunde noch nicht gekauft hat. Dies verbessert nicht nur die Kaufwahrscheinlichkeit, sondern die Werbung wird auch als weniger lästig empfunden, da sie Informationscharakter besitzt.

Die Auswirkungen von Distributionsagenten wird auch der traditionelle Handel verspüren. Mit dem Internet hat sich ein neuer Distributionskanal entwickelt, der insbesondere bei digitalisierbaren Produkte hervorragend geeignet ist, althergebrachte Machtverhältnisse zu verschieben. Zudem lassen sich die typischen Handelsfunktionen aufgrund der geringen Transaktionskosten im Internet entbündeln und durch Agenten neu zusammenführen: So kann beispielsweise die Sortimentsfunktion des Handels von Agenten übernommen werden. Die Vielzahl existierender virtueller Einkaufszentren nimmt noch immer eine pauschale Sortimentzusammenstellung vor. Kennt der Agent die individuellen Wünsche des Nutzers, dann kann er eine individuelle Zusammenstellung des Sortiments übernehmen – und der Kunde braucht nicht durch 50 Seiten zu klicken, die ihn nicht interessieren. Die Informations- und Beratungsfunktion, die momentan noch insbesondere der Fachhandel inne hat, läßt sich im Internet elegant entbündeln und kann von Dritten wahrgenommen werden, die sich z.B. über Werbung finanzieren können. Suchmaschinen wie Yahoo werden hier Wettbewerbsvorteile haben. Eine weitere Funktion, die sich gut entbündeln und von Agenten übernehmen läßt, ist die monetäre Transaktionsfunktion. Kreditkarten- und Electronic-Cash-Unternehmen können dank ihres Know-how digitale Zahlungsabwicklungen übernehmen und die Transaktionskosten reduzieren.

Preisagenten, Produktagenten, Werbeagenten und Distributionsagenten existieren im Cyberspace bereits – sie stellen die erste Generation von Software-Agenten dar.

 

Abbildung 2: Agenten im Internet

 

Agenten der zweiten Generation werden in der Lage sein, mit anderen Agenten auf "elektronischen Marktplätzen" zu interagieren und im Auftrage des Benutzers selbständig Transaktionen durchführen. Will man beispielsweise seinen Gebrauchtwagen verkaufen, schickt man einen Agenten in den Cyberspace, der die Details über den Wagen enthält, die gewünschte Verkaufssumme, den spätesten gewünschten Verkaufszeitpunkt und den niedrigsten akzeptablen Preis. Der Agent kopiert sich selbständig auf die elektronischen Marktplätze und versucht in Verhandlungen mit anderen elektronischen Agenten die Transaktion durchzuführen oder wenigstens den Kontakt zu interessierten Personen herzustellen. Der am MIT entwickelte Prototyp "Kasbah" stellt einen elektronischen Marktplatz zur Verfügung, auf dem jedermann Agenten für den Handel mit gebrauchten CDs und Büchern starten kann (kasbah.media.mit.edu).

 

Abbildung 3: Agenten der zweiten Generation

 

Es bleibt festzuhalten, daß Agenten ein wesentlicher Bestandteil im Marketing des eCommerce sind bzw. werden. Erstaunlicherweise sind bislang nur sehr wenige Anbieter bereit, sich diesem Marketinginstrument zu bedienen und vertrauen statt dessen auf traditionelle Strukturen. Natürlich ist klar, daß eCommerce noch nicht den Stellenwert hat, den der traditionelle Handel noch hat – aber, wer sich nicht früh genug engagiert, der wird später im eCommerce keinen Stellenwert haben. Zwar sind Pioniere nicht zwangsläufig erfolgreicher als Folgerunternehmen, jedoch sind die Pioniere schon lange im Netz und mittlerweile von vielen Nachfolgern umgeben, die nach und nach die Markteintrittsbarrieren aufbauen.

 

Abbildung 4: Wirkungen von Agenten auf das Marketing-Mix

  • Preispolitik: Agenten durchsuchen das Internet auf elektronischen Marktplätzen nach dem günstigsten Angebot für ein homogenes Produkt. Die Preistransparenz nimmt zu und Möglichkeiten zur Preisdifferenzierung sinken. Sonderangebote im Internet generieren im Handumdrehen hohen Umsatz – bei geringem Deckungsbeitrag.
  • Produktpolitik: Durch die Entbündelung von Produkteigenschaften im Internet können Agenten durch Präferenzerfassung individuell zugeschnitte Angebote unterbreiten. Dies gilt insbesondere bei digitalisierbaren Produkten wie Zeitschriften und Software.
  • Kommunikationspolitik: Agenten lernen mit der Zeit die Präferenzen des Anwenders kennen und blenden zielgerichtete Werbebotschaften ein. Streuverluste werden drastisch verringert.
  • Distributionspolitik: Typische Handelsfunktionen wie z.B. die Sortimentszusammenstellung können von Agenten übernommen werden und virtuelle Shopping-Malls ersetzen.

 

Literatur

Albers, S., M. Clement und K. Peters (1998): Marketing mit Interaktiven Medien - Strategien zum Markterfolg, Frankfurt am Main.

Albers, S. und K. Peters (1997): Die Wertschöpfungskette des Handels im Zeitalter des Electronic Commerce, Marketing ZFP, 2, 69-80.

Bakos, J.Y. (1997): Reducing Buyer Search Costs: Implications for Electronic Marketplaces, Management Science, 43, 1676-1692.

Brenner, W., R. Zarnekow und H.Wittig (1998): Intelligente Softwareagenten – Grundlagen und Anwendungen, Berlin, Heidelberg.

Hagel, John; Armstrong, Arthur G. (1997): Net Gain – Expanding Markets through Virtual Communities, Boston, MA.

Samili, A.C.; J.R. Willis und P. Herbig (1997): The Information Superhighway goes International: Implications for Industrial Sales Transactions, Industrial Marketing Management, 26, 51-58.

 

 

Weitere Publikationen von Matthias Runte und Michel Clement: www.runte.de/matthias