Marketing mit Interaktiven MedienVirtual Communities

Claudius Paul und Matthias Runte

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Lehrstuhl für Marketing

Quelle: Paul, C./Runte, M. (1998): Virtuelle Communities, in: Albers S./Clement M./Peters, K. (Hrsg.), Marketing mit Interaktiven Medien – Strategien zum Markterfolg, Frankfurt a. M., IMK-Verlag, S. 151-164, geringfügige redaktionelle Bearbeitung durch die Autoren.

 

Überblick

  • Virtual Communities sind interaktive Gemeinschaften von Personen und Organisationen im Cyberspace.
  • Virtual Communities bieten hervorragende Möglichkeiten zum Online-Marketing bei marginalen Transaktionskosten und werden in starkem Maße als Mittler zwischen Anbietern und Konsumenten auftreten.
  • In Virtual Communities lassen sich detaillierte Präferenzprofile erheben, auf die mit gezielten, individuellen Angeboten reagiert werden kann.
  • Zum erfolgreichen Aufbau von Communities müssen grundlegende Besuchsanreize zum Aufbau einer kritischen Masse an Mitgliedern geschaffen werden.

1. Virtual Communities

Nur wenige Unternehmen verdienen Geld im Internet, obwohl viele bereits den ersten Schritt in Richtung Online-Geschäft durch den Aufbau unternehmenseigener Web-Sites vollzogen haben. Im folgenden wird ein vielversprechendes Konzept erläutert, das ein Überdenken vieler bisheriger Web-Auftritte nahelegt und der Schlüssel zu wirtschaftlicher Prosperität sein könnte: Community Building. Das Community Building vereint folgende Stärken:

  • Kaufkraft wird in relativ homogenen Zielgruppen aggregiert.
  • Ein umfassendes Individualmarketing wird ermöglicht.
  • Markteintrittsbarrieren gegen Imitatoren werden errichtet.

Die ersten Virtuellen Communities sind bereits in den 80er Jahren durch die Kommunikation von Wissenschaftlern im Internet an elektronischen schwarzen Brettern, auch als Usenet oder Newsgroups bezeichnet, entstanden. Im Usenet wird ein weltweiter Gedankenaustausch über Forschung und Lehre, Computer, Freizeitgestaltung, Musik, Kunst und vieles mehr durchgeführt (Alpar 1996). Über die Kommunikation hinaus entwickelte sich ein dauerhaftes Netzwerk persönlicher Bekannschaften und Freundschaften.

Der Community-Gedanke und die ihm innewohnenden Wachstumskräfte lassen sich wirtschaftlich nutzen. Hierzu ist bewußt vom Veranstalter ein Thema zu bestimmen, um den herum sich das Community-Leben entwickeln soll. Die Themenwahl ist nahezu beliebig. Beispiele für das Community-Thema sind Sport, Gesundheit, Reisen oder eher spezifische Fragestellungen wie Online-Marketing.

Um eine Community in Schwung zu bringen, müssen erste "Inhalte", d. h. Online-Angebote, im Bereich Interessen, Shopping, Unterhaltung oder Beziehungsaufbau geschaffen werden, die sich um das Community-Thema drehen. Es müssen Informationen, Produkte, Dienstleistungen und Entertainment in einer Weise bereitgestellt werden, die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Teilnehmern in der Community ermöglicht.

Ausgehend von diesen Basisinhalten trägt das Prinzip des intensiven Einbezugs der Mitglieder mit zum Community-Ausbau bei. Mitglieder steuern Erfahrungen und Wissen über Schwarze Bretter bei, entwickeln eigene Ideen für Unterhaltungsangebote, moderieren Diskussionsgruppen etc. Gleichzeitig beginnt sich ein Netzwerk persönlicher Beziehungen zu entwickeln, das die Mitglieder an die Community bindet. Über das Netzwerk der persönlichen Beziehungen findet Mund-zu-Mund-Propaganda statt, die für einen regen Informations- und Erfahrungsaustausch sorgt. Alle in der Commnunity angebotenen Produkte, Dienstleistungen und Informationen werden somit durch einen begleitenden dynamischen Kommunikationsfluß ergänzt. Diese Verbindung von Inhalten und Kommunikation sorgt für stets gut informierte Community-Mitglieder (Hagel III und Armstrong 1997, S. 17 ff.).

Virtual Communties werden wirtschaftlich interessant, wenn möglichst zahlreiche Anbieter von Gütern und Dienstleistungen integriert werden. Duch die ständige Interaktion mit den Mitgliedern über alle Community-Bereiche hinweg kann der Community-Organizer viel über deren Präferenzen lernen. Diese Präferenzkenntnis verwendet der Organizer für maßgeschneiderte Produktinformationen, Produktempfehlungen, Werbebotschaften und mehr. Werbeeinnahmen und Transaktionsmargen bringen dann zusammen mit der Wachstumsdynamik von Communities die Einnahmen zum Abheben.

Box 1: Defintion Virtueller Communities (in Anlehnung an Hagel III und Armstrong 1997, S. 25 ff.)

  • Erwerbswirtschaftliche Orientierung des Community-Organizers.
  • Konzentration auf ein bestimmtes Thema.
  • Zugang zu untereinander im Wettbewerb stehenden Anbietern.
  • Würdigung von Beiträgen der Mitglieder.
  • Verbindung von Kommunikation und Inhalten.
  • Konsequente Umsetzung des Individualmarketings.

2. Eigenschaften Interaktiver Medien und Community Building

Virtuelle Communities enstehen in Computer Mediated Environments (CME) wie dem World-Wide-Web oder Online-Diensten. Unter CME verstehen Hoffman und Novak (1996b) alle großflächigen Computernetzwerke, die die Eigenschaften der Hypermedialität, der personellen Interaktion und der maschinellen Interaktion vereinen.

Abb. 1 zeigt eine Gegenüberstellung der technischen Möglichkeiten von CME mit Ideen zur Schaffung einer grundlegenden Community-Attraktivität. Die Unterteilung der Besuchsmotive in Interesse, Transaktion, Beziehung und Unterhaltung (Hagel III und Armstrong 1997, S. 17 ff. ) in Tab. 1 bietet dabei eine Orientierungshilfe.

Abb. 1: Eigenschaften von CME

Eigenschaften von CME

Eine erste nutzbare Eigenschaft von CME ist die Hypermedialität. Sie setzt sich begrifflich zusammen aus "Hypertext" und "Multimedia" (s. Abb. 1). Das Hypertext-Prinzip bezeichnet die Verknüpfung einzelner Informationsblöcke mit verwandten Blöcken über sogenannte Hyperlinks. Dies sind assoziative Verbindungen, mit denen direkt zu verwandten oder ergänzenden Inhalten gesprungen werden kann. Große Datenpools eröffnen sich durch diese Anordnung im Vergleich zur traditionellen hierarchischen Suche schrittweise und individuell. Der Online-Besucher gelangt schnell zu den wirklich interessanten Elementen. Da zudem die Speicherung und Bereitstellung der Daten in Computernetzwerken kein nennenswerter Kostenfaktor mehr sind, eröffnen sich ausgezeichnete Möglichkeiten zur Ansprache des Interessenmotives: Der Informationsbedarf von Mitgliedern, die sich aus beruflichen Gründen oder aus privatem Enthusiasmus mit bestimmten Themen intensiv beschäftigen, kann umfassend befriedigt werden. Analoges gilt für das Transaktionsmotiv (zu den einzelnen Motiven s. Hagel III und Armstrong 1997, S. 18 ff.). Hier steht der Austausch von Gütern und Dienstleistungen im Vordergrund. Das Hypertextprinzip erlaubt die Bereitstellung reichhaltiger Sortimente von diversen Anbietern von Gütern und Dienstleistungen sowie die Bereitstellung ausführlicher Produktinformationen.

Tab. 1: Nutzung spezieller Charakteristika von CME beim Community Building

 

Fokus

 

Interessen

Transaktionen

Beziehungen

Unterhaltung

Hypermedialität

Umfassende multimediale Informationen

Umfangreiche virtuelle Shopping-Angebote

Schaffung einer multimedialen Realität

Multimediales Entertainment, Aufbau virtueller Welten

Maschinelle Interaktion

Maßgeschneiderte Informationen durch Interessenprofile der Mitglieder, Wissens-Pools

Individuelle Empfehlungen durch Transaktionsprofile, Produkterfahrungs-Pools

Kontaktherstellung über Persönlichkeitsprofile, Homepages

Maßgeschnei-derte Unterhaltungsangebote, Story-Pools

Personelle Interaktion

Anregung eines direkten Gedankenaustausches mit anderen Mitgliedern zu Sachthemen

Schaffung von produkt-bezogener Mund-zu-Mund- Propaganda

Anregung von Gedankenaustausch auf persönlicher Ebene

Verbindung von Entertainment mit Kommunikation

Das Multimedia-Prinzip als zweiter Baustein der Hypermedialität erweitert die Textdarstellung um Graphiken, Animationen, Audio-Sequenzen, Video-Material etc. (Hoffman und Novak 1996b). In CME lassen sich Informationen auch multimedial präsentieren. Unter dem Stichwort Virtuelle Realität wird man zudem an immer realistischeren Produktdarstellungsmöglichkeiten interessiert sein (Palupski 1995). Auch das Beziehungsmotiv – die Online-Suche persönlicher Bekanntschaften und Freundschaften – kann durch Multimedia gefördert werden. Chat-Freunde können beispielsweise in Comic-Figuren und 3-D-Körper (Alpar 1996, S. 92 f.) schlüpfen, um zu interessanteren und unterhaltsameren Interaktionen zu gelangen (s. Abb. 2). Insbesondere das Unterhaltungsmotiv – die Suche nach Zerstreuung, Ablenkung und Entertainment – kann durch Virtual Communities abwechslungsreicher gestaltet werden.

Abb. 2: Comic-Chat mit Microsoft Chat 2.0

Comic Chat

Das Konzept der maschinellen Interaktion bezeichnet die Einwirkungsmöglichkeiten des CME-Besuchers auf die Online-Realität, also das Hinzufügen von Inhalten und die Abfrage bzw. Auswahl von Inhalten (Hoffman und Novak 1996b). Interaktive Medien ermöglichen eine größtmögliche Nutzerbestimmtheit von Art, Zeitpunkt, Dauer, Abfolge und Häufigkeit des Abrufes von Inhalten (Riedl und Busch 1997). Die Nutzung der Community-Angebote erlaubt daher auch Rückschlüsse auf die Charakteristika und Präferenzen der Online-Besucher. Zusammen mit der direkten Abfrage von Benutzerinformationen eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten, Benutzerprofile anzulegen. Diese steuern die Angebotsvielfalt bzw. sind für eine intelligente Ansprache der einzelnen Besuchsmotive zu nutzen. Anstelle einer aufwendigen Informationssuche treten dann beispielsweise maßgeschneiderte Informationspakete (Interessenmotiv).

Auch bezüglich des Transaktionsmotives wird dem Mitglied intelligent assistiert: Statt Hunderte von Produktangeboten anzuzeigen, wird aufgrund des Mitgliederprofils automatisch eine individuelle Produktauswahl zusammengestellt. Die gesamte Community-Interaktion kann letztlich anhand von Nutzerprofilen auf individuelle Wünsche abgestimmt werden. Hierdurch werden die Mitglieder enger an die Community gebunden.

Das Einfügen von Inhalten erlaubt zudem einen auch für Dritte spürbaren Einfluß auf die Community. Dies wird in Abb. 1 schematisch dargestellt: Nicht nur Anbieter von Gütern und Dienstleistungen (A), sondern auch Community-Mitglieder (M) gestalten durch das Hinzufügen von Inhalten das allgemeine Community-Umfeld.

Das Engagement der Mitglieder anzuregen zahlt sich in vielfältiger Weise aus. Beispielsweise lassen sich die Aufwendungen für die Beschaffung und Aktualisierung von Informationen im Rahmen des Interessenmotivs einschränken: Individuelle Erfahrungsberichte, Kommentare, Sachwissen, Veranstaltungsankündigungen etc. der Mitglieder steigern praktisch kostenfrei die Aktualität, Ausmaß und Lebendigkeit des Informationsangebotes. Zur Aktivierung des Informationsflusses müssen lediglich Schwarze Bretter geschaffen werden, an denen für die Allgemeinheit erstellte Beiträge veröffentlicht werden können. Schwarze Bretter machen bei reger Beteiligung eine Wissensbasis zugänglich, welche die Beiträge ausgewählter Experten in vielen Bereichen an Detailreichtum und Qualität übertrifft (Hagel III und Armstrong 1997, S. 29 ff.). In einer Reise-Community könnten beispielsweise Geheimtips zu einzelnen Gastländern gesammelt werden, die weit über die Tips konventioneller Reiseführer hinausgehen. Auch Produkterfahrungen können ausgehängt (Transaktionsmotiv) oder Homepages der Community-Mitglieder eingebracht werden (Beziehungsmotiv).

Das Konzept der personellen Interaktion beschreibt die direkte Kommunikation zwischen zwei oder mehr Personen über die Community, beispielsweise per E-Mail oder Chat (weitere Optionen s. Alpar 1996, S. 88 ff.). In Abb. 1 wird dies durch direkte Pfeile zur und von der Community dargestellt. Die direkte Kommunikation kann u. a. durch die Bereitstellung ausreichender – auch themenbezogener – Chat-Räume, durch moderierte Diskussionen, durch Vermittlung zwischen Mitgliedern oder durch Schwarze Bretter mit E-Mail-Links zu den Autoren gefördert werden. Der einsetzende gegenseitige Austausch hilft bei allen vier Besuchsmotiven. Offene Fragen lassen sich öffentlich stellen (Interessenmotiv) und persönliche Produkterfahrungen können eingebracht werden (Transaktionsmotiv). Bekanntschaften werden durch die persönliche Kommunikation gepflegt (Beziehungsmotiv), Unterhaltungsangebote erfahren eine kommunikative Erweiterung (Unterhaltungsmotiv).

3. Personalisierte Angebote in Virtuellen Communities

Die Ausführungen des letzten Kapitels machen deutlich, daß sich in Virtual Communities eine große Anzahl Online-Teilnehmer mit relativ homogenen Präferenzprofilen bündeln läßt. Eine Kopie der Marketing-Paradigmen der traditionellen Medien reicht jedoch nicht aus, um das enorme wirtschaftliche Potential von Virtual Communities auszunutzen. Das entscheidende Instrument zur Differenzierung von der Konkurrenz liegt dabei in der möglichst genauen Erfassung der individuellen Kundenpräferenzen und der Unterbreitung von auf das einzelne Individuum bezogenen Informationen und Angeboten (Alexander 1998).

Unter Individual-Marketing versteht man die Differenzierung der Zielgruppe über die traditionelle Segmentierung hinaus bis auf das einzelne Individuum (s. Kap. IV.1). Die Bestrebungen zur Individualisierung werden durch das Community Building wesentlich vereinfacht, da sich mit relativ wenig Aufwand Präferenzprofile ableiten und speichern lassen. Auf der anderen Seite wird es durch Individual-Marketing erst möglich, die Besuchsmotive der Community-Mitglieder optimal zu befriedigen. Individual-Marketing ist der Schlüssel zur wirtschaftlichen Ausnutzung von Virtuellen Communities.

In der hier betrachteten Form des Individual-Marketing geht es primär um die Auswahl von passenden Produkten aus einer bestehenden Produktpalette. Prinzipiell können alle Marketinginstrumente bis hin zur Personalisierung von Produkten auf die Bedürfnisse und Wünsche jedes einzelnen Nutzers individualisiert werden (s. Kap. VI.1). Obwohl es auch in diesem Bereich bereits einige gute Ansätze gibt, gehen wir an dieser Stelle von der Auswahl von Produkten aus einem bestehenden Sortiment eines oder mehrerer Anbieter aus.

Präferenzen und Mitgliederprofile lassen sich im wesentlichen durch zwei Verfahren ermitteln. Zum einen kann das Online-Verhalten des Mitgliedes aufgezeichnet werden (Tracking). Dabei wird in der Datenbank gespeichert, für welche in der Community angebotenen Inhalte sich das Mitglied besonders interessiert hat. Finden bereits Transaktionen der Mitglieder mit Anbietern über die Community statt, lassen sich zusätzlich Transaktionsprofile aufzeichnen. Je stärker die Online-Aktivität der Mitglieder ist, desto genauere Angaben über die individuellen Präferenzen lassen sich ermitteln.

Die zweite Möglichkeit besteht in der direkten Präferenzabfrage. Das Mitglied wird gebeten, Angaben über sich selbst und seine Interessen zu machen. Wichtig ist, daß dies auf freiwilliger Basis geschieht, da sonst eine ablehnende Haltung und ein Vertrauensverlust gegenüber der Community nicht auszuschließen ist. Viele der sich derzeit formierenden Communities setzen auf direkte Abfrage, wie beispielsweise Electric Minds (www.minds.com). Das Mitglied beantwortet dort in einem Dialog Fragen zu seiner Persönlichkeit und seinen Interessen und legt damit sein Präferenzprofil auf direktem Wege fest.

Die Community GeoCities (www.geocities.com) setzt von vornherein auf eine Selbstselektion nach Interessengebieten. Jedem Mitglied werden einige Megabyte Speicherplatz für eine eigene Homepage in einer frei wählbaren Neighborhood eingeräumt. Neighborhoods konzentrieren sich auf bestimmte Themen wie "Business & Money", "Family & Kids" oder "Technology & Science". Auf diese Selektion lassen sich bereits Rückschlüsse auf die Präferenzen der Nutzer ziehen. Durch eine direkte Angabe weiterer Interessen lassen sich diese Präferenzen noch verfeinern.

Beim Einsatz der erhobenen Präferenzdaten zur Individualisierung lassen sich zwei unterschiedliche Verfahren unterscheiden, welche auch gemischt verwendet werden können (Alexander 1998). Beim Rules Based Matching werden Benutzerprofile über Präferenzprofile und durch Tracking erhaltene Daten erzeugt. Über bestimmte Regeln werden den Benutzern anhand der Benutzerprofile individualisierte Angebote präsentiert. Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt insbesondere in ihrer leichten und nachvollziehbaren Anwendbarkeit. Beispielsweise könnte eine Regel lauten: "Wenn der Nutzer männlich und zwischen 20 und 35 Jahren alt ist, in Deutschland wohnt und seine Postleitzahl mit 24 beginnt, dann zeige ihm ein bestimmtes Angebot".

Das zweite Verfahren wird Automated Collaborative Filtering (ACF) genannt und basiert ebenfalls auf Benutzerprofilen. Anhand der Ähnlichkeit von Präferenzprofilen lassen sich Benutzercluster mit ähnlichen Präferenzen bilden. Um aus einer Produktpalette passende Angebote zu empfehlen, werden die Erfahrungen anderer Mitglieder mit ähnlichen Präferenzen verwendet, welche die betreffenden Produkte bereits gekauft und beurteilt haben. Wird ein Produkt von gleichgesinnten Leuten als gut eingestuft, so wird dieses Produkt empfohlen (s. Abb. 3). ACF dient also zum automatischen, kollektiven Erfahrungsaustausch zwischen Community-Teilnehmern.

Die praktische Anwendung des ACF wird erst durch Virtuelle Communities möglich, da sie eine ausreichende Anzahl detaillierter Präferenzprofile von Nutzern bieten, die sich alle für ein bestimmtes Thema und damit in der Regel auch für eine bestimmte Produktgruppe interessieren.

In dem Forschungsprojekt Linxx (linxx.bwl.uni-kiel.de) und den Firefly-Communities wird die direkte Abfrage von Präferenzen und Choices sogar zum Aufhänger der Community gemacht. Man gibt beispielsweise in der Filmfinder-Community Bewertungen über Filme an, die man bereits gesehen hat. Sobald man seinen "Filmgeschmack" hinreichend genau bestimmt hat, lassen sich über das ACF Empfehlungen für Filme ausgeben. Bei den empfohlenen Filmen handelt es sich um die Filme, die von Leuten mit ähnlichem Filmgeschmack als gut eingestuft wurden. Einer der interessantesten Aspekte beim ACF ist, daß sich auch Produkte wie Filme, Musik oder Kunstobjekte empfehlen lassen, deren Eigenschaften auf konventionelle Weise schwer abzufragen sind. Gershoff und West (1998) zeigen, daß sich in diesen Produktgruppen durch die Verwendung von Präferenzen anderer Personen signifikant bessere Präferenzprofile ableiten lassen.

Abb. 3: Automated Collaborative Filtering

ACF

Das Firefly-Beispiel zeigt, daß das Abfragen und Speichern von Kundendaten deutliche Vorteile für den Nutzer mit sich bringen kann. Zwar wird es noch einige Zeit dauern, bis die Mehrheit der Online-Nutzer die existierenden Vorbehalte gegen die Verletzung der Privatsphäre abgebaut haben; Community-Mitglieder und Online-Nutzer werden jedoch den Wert ihrer Präferenzprofile erkennen, sobald die Daten erkennbar zu ihrem Vorteil eingesetzt werden. Anstatt Mißbrauch mit den Benutzerdaten zu betreiben, wie dies oft mit der Vermarktung von E-Mail-Adressen an Direct-Marketing-Firmen geschieht, muß vielmehr eine gezielte Kommunikationspolitik im Sinne des Kunden betrieben werden. Insbesondere Virtuelle Communities bieten eine ausgezeichnete Ausgangsbasis zur Nutzbarmachung der Vorteile des Individual-Marketing – für Anbieter und Nutzer.

Es wird deutlich, daß der wahre Wert von Virtuellen Communities in den Mitgliedern und ihren detaillierten Benutzerprofilen liegt. Dies haben auch die großen Hersteller von Browser-Software, Microsoft und Netscape, erkannt. In Zusammenarbeit mit Firefly wurde der sogenannte Open Profiling Standard (OPS) verabschiedet, der in zukünftige Browserversionen integriert werden soll (Moeller 1997; Karpinski 1997). OPS ermöglicht es, Benutzer- und Präferenzdaten im Browser zu speichern und automatisch an Web-Sites zu übertragen. Um Bedenken zum Schutz der Privatsphäre vorzubeugen, geschieht dies vollständig auf freiwilliger Basis durch den Nutzer. Er allein entscheidet, ob eine Web-Site bestimmte Daten abfragen darf. Ungeklärt ist bislang noch, inwieweit die gespeicherten Profildaten tatsächlich detailliert genug sind, um damit ein sinnvolles, zielgerichtetes Individual-Marketing betreiben zu können.

4. Beschleunigungseffekte beim Community Building

Der hohe Wettbewerbsdruck in den Interaktiven Medien hat dazu geführt, daß bislang nur eine geringe Anzahl von Unternehmen signifikante Gewinne verbuchen konnten. Dies ist bedingt durch die weitgehende Auflösung von örtlichen und investitionsbedingten Markteintrittsbarrieren und ein damit verbundenes gewaltiges Online-Angebot.

Community Building hilft, Markteintrittsbarrieren aufzubauen. Der Erfolg beim Community Building hängt entscheidend davon ab, ob und wie schnell kritische Massen an Mitgliedern, Präferenz- und Transaktionsprofilen sowie Anbietern aggregiert werden können. Werden kritische Massen erreicht, entfalten sich innerhalb der Community Kräfte mit einer immensen Eigendynamik. Wir geben im folgenden eine grobe Übersicht dieser selbstverstärkenden Effekte.

Abb. 4: Community-Dynamik und selbstverstärkende Kreisläufe

Community-Dynamik

Grundlage dieser Kräfte sind die Economics of Increasing Returns, deren Voraussetzungen beim Community Building gegeben sind (Arthur 1996). Grob lassen sich vier selbstverstärkende Mechanismen identifizieren, die nach dem Erreichen einer kritischen Masse zu progressivem Wachstum und Rentabilität führen (s. Abb. 4, in Anlehnung an Hagel III und Armstrong 1997, S. 49). Es ist insbesondere der Mechanismus dieser Triebkräfte, der das Community Building wirtschaftlich so interessant macht (s. Box 2).

Box 2: Community-Dynamik und selbstverstärkende Kreisläufe

Community-Inhalte. Mit wachsender Vielfalt von Nachrichten an schwarzen Brettern, privaten Homepages und angefüllten Chat-Räumen wird die Community immer interessanter für Neueinsteiger, welche wiederum Mitgliederinhalte einbringen. Dieser Mechanismus sorgt für eine lebendige Community und ist absolut erfolgskritisch für das Community Building.

Loyalität und Kundenbindung. Mit wachsender Mitgliederzahl und zunehmender Menge eingebrachter Inhalte steigt auch die Kommunikation unter den Mitgliedern. Dies führt zum Aufbau und Ausbau persönlicher Beziehungen, also der Verwirklichung des eigentlichen Community-Gedankens. Die Besuchsfrequenz steigt, die Vertrautheit mit der Bedienung wächst und es entsteht eine soziale Bindung an die Community – Markteintrittsbarrieren für Folger werden aufgebaut.

Mitgliederprofile. Mit zunehmender Interaktion der Mitglieder wird es möglich, detaillierte Mitgliederprofile über Interessen, Informationsverhalten und Kaufgewohnheiten abzuleiten. Durch Individualisierung von Informationen und Angeboten kommt es zu einer nachhaltig verbesserten Kundenzufriedenheit, was erneut zu wachsender Mitgliederzahl und -loyalität führt.

Transaktionen. Mit steigender Mitgliederzahl lassen sich immer mehr Anbieter von Waren und Dienstleistungen in die Community akquirieren. Ein vielfältiges Angebot bedeutet erstens eine Zunahme von Transaktionen und damit Einnahmen für den Community-Organizer und zweitens eine gesteigerte Attraktivität für neue Mitglieder. Der steigende Umsatz führt wiederum zu wachsender Attraktivität für neue Anbieter:

  • Erreichbarkeit eines immer größer werdenden Kundenpotentials.
  • Gezielte Ausrichtbarkeit der Marketinginstrumente, da durch das Community-Thema bereits eine Grobabschätzung der Mitgliederpräferenzen möglich wird.
  • Weitere Differenzierbarkeit bis auf "Segments-of-One" durch Individual-Marketing anhand von individuellen Präferenz- und Transaktionsprofilen.
  • Ausdehnung des Marktvolumens ohne Beschränkung durch geographische Grenzen.
  • Äußerst geringe Transaktionskosten durch Nutzung der Interaktiven Medien.

Aufgrund der ausgeprägten Netzeffekte wird es im Community-Business zu starken monopolistischen Tendenzen kommen, die sich beim Erreichen der kritischen Masse voll entfalten. Die Netzeffekte lösen einen ökonomischen Sog mit bildlich abhebendem Mitglieder- und Ertragswachstum aus. Gelingt es, durch eine optimale Befriedigung der Anreizmotive die kritische Masse schneller und effizienter als die Konkurrenz aufzubauen, ist von signifikanten Wettbewerbsvorteilen auszugehen. Da der wahre Wert der Community aus ihren Mitgliedern und einem dichten Netzwerk persönlicher Beziehungen besteht, sind die Markteintrittsbarrieren für Folger selbst mit enormen Kosteneinsatz kaum zu überwinden (s. Kap. III.2).

Die Gewinne des Community-Organizers werden sich dabei vorrangig aus Werbeeinnahmen und Transaktionsprovisionen ergeben, welche durch die hervorragenden Möglichkeiten zum Einsatz des Individual-Marketings noch katalysiert werden. Die Erhebung von Mitgliedschafts- oder Nutzungsgebühren ist zwar möglich, bremst aber das zügige Erreichen der kritischen Masse an Community-Teilnehmern. Welche Vergütungsmodelle sich schließlich durchsetzen, wird der Markt zeigen.

Literaturverzeichis

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